3. Etappe: Krakau – Timisoara

Morgens packe ich meine Sachen, als ich eine SMS von Doru, einem rumänischen Motorradreisenden, den ich über das Internet kennen gelernt habe, erhalte. Er lädt mich zu sich nach Timisoara ein. Das interessiert mich. Also ändere ich meine Pläne direkt über die Ukraine zum Schwarzen Meer zu fahren. Jetzt geht es über die Tatra durch die Slowakei und Ungarn nach Rumänien. Genau genommen ein Umweg, aber das ist ja die ganze Reise und somit passend!

Die Maschine ist gepackt. Fühlt sich leichter an. Ist sie natürlich nicht. Der Blick zum Himmel verspricht, dass ich weder damit rechnen muss, allzu sehr zum Schwitzen zu kommen, noch dass ich meine Sonnenbrille zu sehr strapazieren muss. Motor starten und mit Schwung in den Stau Krakaus. Die Beladung macht es mir unmöglich an den wartenden Autoschlangen vorbeizufahren. Langsam verlasse ich das Zentrum und es geht mit einem Schlag sehr zügig. Mein iPhone versorgt mich schon während der ganzen Reise zufällig mit Musiktiteln aus meiner 5000-Lieder Sammlung. Es hat wohl direkte Verbindung zu Petrus, als es von den Ärzten „Himmelblau“ spielt, denn in diesem Moment reisst der Himmel auf. Zwar nicht sehr lang, aber ne nette Abschiedsgeste von Krakau. Wenig spater folgt „Sehnsucht“ von Purple Schulz. Das hätte zum Stau zwar besser gepasst, aber ich will ja nicht kleinlich sein.
Es ist relativ kühl, was auch der Blick auf die regelmäßig installierten Infotafeln mit Luft- und Asphalttemperatur bestätigen: Luft 8,6 °C, Asphalt: 20,1 °C.
Die Fahrt über die Tatra wird anfangs durch den starken Hochnebel etwas getrübt. Dafür bieten die Straßen nahezu Fahrspaß pur. Leicht verwunderlich ist der Zustand der Straßen. Kilometerlange makellose Fahrbahnen und urplotzlich in einer engen Kurve der Beginn eines ehemaligen Bombenabwurfplatzes. Und zwar für 20 Meter. Anschliessend folgen wieder perfekte Kilometer. Na, da ging wohl der EU zwischenzeitlich das Geld aus. Trotz der ein oder anderen pulstreibenden Situation merke ich, dass es schattig ist. Lange kämpfe ich mit mir, denn ich will mich nicht noch in eine weitere Jacke zwängen. Als Michelin-Männchen fühle ich mich zu eingezwängt, zu wenig beweglich auf den kurvenreichen Strecken. Da will ich schnell und agil durch die Bergstraßen lenken können. Einspruch von meiner schwer bepackten Maschine. Kurzer Check im Rückspiegel: Ok, stattgegeben… allzu sehr sollte ich es nicht übertreiben mit der Schräglage…sie könnte Ausmaße annehmen, die ich per se ablehne. Also ne Schicht Fleece unter die Motorradkombi. Die spannt nun ordentlich. Es lässt sich trotzdem überraschenderweise ganz gut damit fahren. Es ist einfach nichts los hier.
Die Fahrt von der Tatra zur slowakisch-ungarischen Grenze verfrachtet einen in eine andere Welt. Die abwechlsungsreichen Bergstraßen werden von ewig geraden Strecken abgelöst, die nur willkürlich von Kleinstdörfern gesäumt werden. Zwischen diesen Dörfern sind junge Familien oder kleine Kinder im Alter zwischen 5 und 12 Jahren zu Fuß mit Kinderwägen unterwegs. Sie führen entweder noch jüngere Geschwister spazieren oder transportieren in den Wägen riesige Berge an Lebensmittel oder Holz. In den Orten treffen sich die Menschen im Zentrum. Das sieht letztlich so aus: Eine gerade Straße mit einem auftauchenden Ortsschild. Vier Häuser stehen rechts, vier Häuser stehen links der Straße. Ein Haus ist abgebrannt, eines ist schon lange eingestürzt. Es gibt keine Garagen. Wozu auch? Es scheint niemand ein Auto zu besitzen. Die Menschen sitzen oder stehen mitten auf der Straße und unterhalten sich, spielen Karten oder wundern sich über vorbeirauschende Motorradfahrer, die scheinbar ihr halbes Heim dabei haben. Wer führt hier ein Zigeunerleben?
Mir kommt der Gedanke, dass ich wohl auf diesen zwei Rädern mehr für mich habe, als die gesamten Bewohner eines dieser Dörfer. Ich fahr durch mindestens acht dieser Ortschaften, als urplötzlich dieses Landschaftsbild durch eine autobahnähnliche Schnellstraße durchkreuzt wird.
In Ungarn sehe ich mehrfach Turboriesentausendfüßler. Knapp 400 m lang stehen sie auf Feldern und werden wohl zur Bewässerung oder zur Saat eingesetzt. Ich weiß es nicht. Da die unzähligen Stelzen mit Rädern bestückt sind, sind es für mich Tausendfüßler auf Rollschuhen. Aber sie scheinen zu schlafen. Keines dieser Ungetümer bewegt sich.

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Aufgrund des Tipps von Doru, den zwar längeren aber ruhigeren Weg durch Ungarn bis zur südlichsten Grenze nach Rumänien zu nehmen, fahre ich jetzt einen Umweg durch eine etwas monotone Landschaft. Kleine Vorbereitung auf Kasachstan. Zwischenstopp in Debrecen.

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Wollte eine Debrecziner-Wurst zur Stärkung essen. „Blöder deutscher Tourist“ sage ich nach erfolgloser Suche zu mir. Die Wurst wurde zwar nach der Stadt benannt, kommt aber nicht von dort. Also weiter. Erste Grenzkontrolle. Gleichzeitig erster Zeitzonenwechsel. Beides erfolgt unspektakulär. Der ungarische Grenzer will mehr über die Reise wissen, aber der Andrang ist zu groß, weswegen er mich doch weiter schickt. Ankunft in Timisoara. Nach einer erfrischenden Dusche, einem kühlen Bier und einem Steak vom Grill fühle ich mich wie neugeboren. Wir unterhalten uns über unsere Motorradtouren und unsere Familie. Er ist verrückter als ich. Er fuhr bereits mit Frau (eigenes Motorrad), Kind und Kegel auf dem Motorrad nach Helsinki, Istanbul und plant Touren nach Korsika, in den Iran und in die Mongolei. Dabei nimmt er Tagesetappen von über 800 km in Kauf, um Zeit zu sparen. Ich falle ins Bett und fahre 1000 km im Schlaf. Ne, das ist zuviel. Ich bleibe bei meinen maximal 500 km am Tag. Auch wenn es später sowieso deutlich weniger werden sollten.

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