10. Etappe: Atyrau – Beyneu

Das könnte der kürzeste Artikel jemals werden, wenn ich mir nicht ne unglaubliche Dummheit an diesem Tag erlaubt hätte.
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Am Vormittag ging es in Atyrau los. Volltanken und dann auf einer wirklich sehr guten Straße ohne viel Verkehr nach Beyneu. Dort geht es entweder direkt weiter an die Usbekische Grenze oder Richtung Kaspisches Meer. Da ich die knapp 350 km in sehr kurzer Zeit abgespult habe, entschied ich mich, schnell zu tanken und die 280 km Richtung Shetpe auch noch an diesem Tag zu fahren. Das würde ich problemlos schaffen. Dazu kam es aber nicht an diesem Tag.

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Getankt und rauf auf die neue Straße. Wenige hundert Meter später ist man mitten im Bau eines Straßenabschnitts, deswegen wird der Verkehr einfach stumpf in die Wüste geleitet. Vor mir fährt ein Lkw. Plötzlich sackt er tief ein. Das kann ich auch. Und plopp. Meine Maschine liegt im Sand. Der Beginn einer großen Leidenschaft. Zwei Mitfahrer des nachfolgenden Lkws helfen mir, die Maschine aufzurichten. Und weiter. Ich fahr ne zeitlang, als auf einmal die Straße komplett zu Ende ist und ich vor einem Militärgelände stehe. Ok, da wollte ich nicht hin. Ein paar Männer stehen da und unterhalten sich. Ich frage nach dem Weg nach Aktau, dem eigentlichen Ziel, Shetpe ist nur ein Zwischenziel. Einer der Männer springt spontan in sein Auto und fährt mir voraus. Unterwegs wundere ich mich, dass ich mein Sonnenvisier herunter mache. Das habe ich doch den ganzen Tag nicht gebraucht? Wo ist meine Sonnenbrille?? Ich hatte sie noch beim Tanken. Der Fahrer zeigt nach rechts und ruft „Aktau!“. Dann fährt er weg. Ich halte an, um nachzusehen, ob die Sonnenbrille an meinem Motorrad ist. Nichts. Ok, zurück zur Tankstelle. Durch den Sand von vorher. Richtig: Plopp. Wieder hilft mir ein Lkw-Fahrer. An der Tankstelle ist nichts. Ich frage nach, aber ohne Ergebnis. Die Sonnenbrille hab ich doch auf den Tankrucksack gelegt?! Achja, und dann war da dieser aufdringliche Typ, der mit seinem Handy wirklich alles fotografiert hat u. a. auch die Armaturen. Der hat doch nicht etwa meine Sonnenbrille??
Das kann nicht sein. Jeder, wirklich jeder warnt mich, wie gefährlich es hier ist und dass ich sogar damit rechnen müsste, dass meine Maschine während des Tankens geklaut wird…und dann das. Und ich habe nichts davon gemerkt. Sch….!
Na gut, Zeichen erkannt: Ich fahr heute nirgends mehr hin. Schräg gegenüber ist ein kleines Hotel, da quartier ich mich ein. Gedacht, getan. Komplett die Maschine entpacken, eventuell ist die Sonnenbrille ja doch irgendwo dazwischen gerutscht. Aber nein. Sie ist weg. Aus Frust hol ich mir ein Eis am Stiel beim nächsten Supermarkt. Ich fahre mit der Maschine hin, da es doch etwas weit ist. Da gibt’s auch nen Geldautomaten. PIN und Geldbetrag eingegeben. Aber nichts. Keine Meldung. Nochmal. Funktioniert. Jetzt hoffe ich nur, dass nur einmal das Geld vom Konto abgebucht wird. Ich setze mich auf die Treppenstufen des Supermarkts, esse das Eis und nehme „Abschied“ von der Sonnenbrille. War nicht ganz billig, da mit polarisierten Gläsern, um so wenig wie möglich durch die Hitzespiegelungen irritiert zu werden und mit Anpassung an meine Sehstärke. Wer das mal machen hat lassen, weiß, dass das eine Investition ist.
Ich setz mich auf die Maschine und fahr los. Die Maschine macht richtig Spaß so ohne Gepäck. Gedanken versunken zisch ich am Hotel vorbei. Na, dann kann ich ja nochmal zur Sandstrecke und sehen, ob es an mir oder am Gepäck liegt, dass es mich gleich zweimal niedergelassen hat. Problemlos komm ich durch. Jetzt nochmal aufdrehen, ist eh nichts los hier. Ein Hund kommt aus einem Haus geschossen und kreuzt kurz vor mir die Straße. Er bellt nicht. Er macht mit mir ein Wettrennen. Also fahr ich langsamer. Der Hund hat sichtlich Spaß. Ach, dann fahr ich nochmal zum Militärgelände. Zwei Soldaten kommen aus dem Wachhaus. Ich frage sie nach meiner Sonnenbrille. Sie schauen vor ihre Füße und finden nichts. Also wieder zurück. Der Hund von eben wartet ja schon. Ich lasse ihn gewinnen.

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An der Abzweigung nach Aktau sind mehrere Männer. Plötzlich versperren sie den Weg nach geradeaus und bilden eine Gasse. Sie winken zur Abzweigung hin und rufen „Aktau“. Das verstehe ich nicht. Dann erkenne ich den Mann von vorhin, der mir voraus fuhr. Wie mache ich ihm jetzt klar, dass ich jetzt nicht nach Aktau fahre. Ich halte an. Er kann aber kein Englisch. Irgendwie schaffe ich es dann doch. Er ruft es den anderen zu. Sie verteilen sich. Einer läuft zu seinem Auto und kommt wieder zurück. Er drückt mir etwas in die Hand. Es ist meine Sonnenbrille! Zwar etwas ramponiert, aber nichts Dramatisches. Ich kann es nicht fassen. Und ich habe nichts dabei, womit ich mich erkenntlich zeigen kann, da ja mein Gepäck im Hotel ist. Ich greife zum Geldbeutel, er winkt ab. Das wusste ich. Irgendwo hab ich doch noch einen BMW-Kugelschreiber. Er freut sich sichtlich. Stolz zeigt er ihn den anderen. Für alle anderen habe ich BMW-Aufkleber. Zum Glück hatte ich die zuvor beim Packen vergessen und dann in meine Jacke gesteckt. Auch sie sind begeistert. Ich verabschiede mich. Die Sonnenbrille war tatsächlich an meinem Motorrad, selbst durch den Sturz fiel sie nicht herunter, da sie feststeckte. Erst durch ein Schlagloch löste sie sich und fiel auf die Straße. …und ich verdächtige einen Motorradbegeisterten, der womöglich nie das Geld haben wird, solch ein Motorrad zu kaufen.

5 Antworten auf „10. Etappe: Atyrau – Beyneu“

  1. Hey Christian, jetzt wird mir auch klar, warum wir auf dieser Strecke Deine Fahrtroute etwas versetzt neben der „offiziellen“ Straße gesehen hatten – wir hatten schon an einen Knick in der Satellitenoptik gedacht. Du siehst: Big Brother is watching you, even in the middle of nowhere 😉
    Deine Bilder sind echt große Klasse, vorallem der Fullspeed-Hund, der alles gibt, um das „Bayerische Monster“ zu schlagen!
    ..und zu guter Letzt: wer rechnet denn bitte mit soviel Ehrlichkeit? aber vermutlich sind wir schon alle zu sehr verdorben, dass wir diese Grundtugend nicht mehr pauschal vermuten können. Wie schön, dass Deine gute Sonnenbrille nur einen Abstecher über den ehrlichen Finder gemacht hatte!

  2. Grüß Dich Christian!
    Ich lese zwar regelmäßig Deine Berichte voller Spannung, dennoch war es mir nicht möglich Dir vorher ein paar Zeilen zu schreiben. Dies liegt vermutlich daran, dass ich mich gerade an einer gewissen Institution in Dresden befinde und die „Auftragslage“ doch etwas umfangreicher ist, als ich mir erhoffte …
    Du hast ja wirklich schon einiges erlebt und Deine Berichte klingen im wahrsten Sinne des Wortes sehr „abenteurlich“, aber Du hast es ja so gewollt 🙂 Ich wünsche Dir jedenfalls auch weiterhin gute Fahrt und werde auch in Zukunft mit Spannung Deine Zeilen verfolgen. Also mach es gut und pass auf Dich auf!!

    1. Danke Kevin!
      Abenteuerlich trifft es…und schön! …das ist ja fast so wie in Dresden! 😉
      Viel Erfolg und schöne Grüße an alle der Besten der Besten der Besten…oder bist Du alleine dort?
      Schachti

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