Japan!
Bin zwar schon nah dran, nur von Vladivostok aus will ich nicht nach Japan, denn mit meinem Motorrad komme ich nicht auf direktem Wege rein. Ich habe kein Carnet de Passage. Aber das braucht man für Japan…außer man versucht es mit nem Trick.
Und der Trick ist, über Sachalin nach Hokkaido mit der Fähre zu fahren. Das Carnet de Passage wird in Japan nicht von den Grenzbeamten abgestempelt, sondern von Mitarbeitern des Japanischen Automobilclubs (JAF). Das nächste Büro befindet sich allerdings in Sapporo, knapp sechs Stunden von Wakkanai, meinem Ankunfthafen. Also müsste man zuerst nach Sapporo (ohne eigenes Fahrzeug, da ja noch keine Einreisebewilligung ohne bestätigtes Carnet) und wieder zurück, damit die weitere Bearbeitung durch die Grenzbeamten erfolgen kann. Und das will man den Reisenden nicht zumuten. Soweit die Erfahrungsberichte anderer Reisende. Ich hoffe, es klappt.
Zuerst geht’s mit dem Motorrad an Chabarowsk vorbei nach Vanino. Kostya ist anfangs etwas beleidigt, dass ich nicht bei ihm vorbei schaue, aber ich will die nächste Fähre nach Hokkaido erwischen. Dazu muss ich aber auch erst mal nach Sachalin und will nicht unnötig Zeit verlieren. Und was macht Kostya? Er schickt nen Freund voraus, der mich knapp 200 km hinter Chabarowsk an der Abzweigung nach Vanino abfängt und mir eine Telefonnummer eines weiteren Freundes in Vanino gibt. SMS hätte es zwar auch getan, aber das wäre nicht russisch genug. Das war wie aus nem schlechten Film: Mitten im Nirgendwo, wartet verlassen ein Typ von nem Bär an einer Kreuzung und spricht einen an: „Bist Du Christian von Vladivostok nach Vanino?“ Und dann drückt er mir sein Handy in die Hand, mit dem Hinweis: „Nummer Freund Vanino“. Das stand dann auf dem Display. Dann noch die Info, dass für die schlechte Strecke von 350 km mindestens fünf Stunden einzuplanen sind. Fünf Stunden ist die Zeit, die er braucht, wenn er Gas gibt. Ok, dann wäre es kurz nach elf…nachts. Da wollte ich nicht unbedingt mehr fahren, aber der Freund weiß bereits Bescheid über mein spätes Kommen. Das soll wohl meine längste Tagesetappe bislang werden von knapp 1.300 km, davon 300 km Offroad (wenn auch nur „soft“, aber großteils im Dunkeln). Na, Dankeschön. Das ist wieder eine dieser Aktionen, bei denen ich ernsthaft überlege, mir die Freundschaft zu kündigen. Allerdings hab ich grad keine Zeit für Diskussionen und fahre weiter, ohne auch nur ein weiteres Wort mit mir zu reden. Ist auch nicht nötig, mein iPhone beschallt mich u.a. mit den Beatsteaks „Hail to the freaks“. Passt. 😉 Die Strecke ist landschaftlich wirklich grandios, aber all zu sehr kann ich’s nicht genießen, da sie doch einige Konzentration abverlangt.
Großteils eine reine Baustelle, da sie geteert werden soll. Irgendwann. Dann verließ mich die Sonne und weiter ging’s durch die Nacht.
Die fünf Stunden kann ich nicht ganz einhalten. Zehn Minuten brauche ich länger. Wohl zu lang, denn Kostyas Freund geht nicht ans Telefon. War klar. Ok, dann halt ein Hotel. Dort wissen sie bestimmt, wann die nächste Fähre geht. Um 6:00 Uhr morgens!? Ich soll sofort zum Hafen, denn das Ticket muss ich vor Abfahrt kaufen. Schlaf! Ach, süßer Schlaf! Wie gern würde ich jetzt schlafen…aber jemand, mit dem ich nicht mehr rede, hatte ja ne ach so geniale Idee. Hilft nix. Passierschein beantragen, in den Hafen, zur Fähre und hoffen, dass ich jemanden finde, der mich versteht. Andrey. Wer sagt’s denn?! Ein russischer Motorradfahrer, der mit seiner Freundin, Maria, ebenfalls nach Sachalin möchte, hört das Brummeln meines Motorrads und steht extra auf, um nachzusehen.
Es geht zum Ticketschalter, raus aus dem Hafen zum Geldautomaten, da die Preise deutlich höher sind, als im Internet berichtet und keine Kartenzahlung möglich ist, Diskussion mit der Security (sie wollen Geld…Security…soso), wieder in den Hafen, Ticketschalter, Warteraum. Es ist 3:00 Uhr. Wann die Fähre tatsächlich ablegt, kann keiner genau sagen: Morgens. Erstmal hinlegen. Um 6:00 Uhr raus und warten. Letztlich wird es 10:00 Uhr.
Den fehlenden Schlaf können wir bei der 16 stündigen Überfahrt nachholen, denn sonst gibt es nicht viel zu tun an Bord des sichtlich betagten Stück Stahl. Essen, schlafen und den Horizont anstarren. Aber das beruhigt ungemein. Bei nem Bier kläre ich alles mit mir wegen der Aktion vom Tag zuvor. Man kennt sich ja zu Genüge. 🙂
Mitten in der Nacht kommen wir in Cholms an. Andrey, Maria und ich fahren erstmal gemeinsam los, um ein ruhiges Plätzchen bis zum Sonnenaufgang zu finden. Außerhalb der Stadt an der Straße, rollen wir unsere Matten aus. Der Sternenhimmel ist atemberaubend. Das ist unser Zelt für heute Nacht. Ich sehe ne Sternschnuppe. Und noch eine, und noch eine. Es hört nicht auf. Beinahe im Minutentakt können wir uns was wünschen. Irgendwann gehen mir die Wünsche aus, also teste ich, ob das mit dem „Wunsch erfüllen“ überhaupt klappt. Ich brauche irgend einen Wunsch, bei dem ich schnell feststelle, ob er in Erfüllung geht…ha! Ich hab’s! Ich wünsch mir noch ne Sternschnuppe! 🙂 Und siehe da: Klappt!
Eine Fähre nach Hokkaido fährt noch am selben Tag, aber die Bearbeitung der Tickets dauert zu lang, deswegen kann ich erst in zwei Tagen weiter. Also Sachalin anschauen. Wobei ich in der Nähe von Korsakov bleiben soll, falls noch irgendwas zu klären wäre. Lang suche ich nach nem Strandabschnitt, der sauber und ruhig ist. Eines von beiden trifft eigentlich nie zu. Dann finde ich ihn. Meinen Schlafplatz für diese Nacht: Am Meer, mit Moos bedeckter Strand (herrlich weich), sauber und ner kleinen Flussmündung, bei denen zahlreiche Lachse versuchen zu ihrem Laichplatz aufwärts zu schwimmen. Wenn ich jetzt Lust auf Lachs hätte… 🙂
Aber ich hab schon gegessen. Das Wetter ist gut und ich beschließe, dasselbe Zelt wie in der vorigen Nacht zu nehmen: Den Sternenhimmel. Heute will er aber nicht wirklich groß aufleuchten. Es ziehen Wolken auf. Dann schlafe ich halt ein, ohne Sternschnuppen zu zählen. Ich wache auf, als ich merke, dass es regnet, nein schüttet. Die Mooslandschaft verwandelt sich in eine Moorlandschaft. Ich ziehe um. Aus der Bodenplane des Zelts mache ich ein Behelfsbiwak. Toll, wenn die Plane dicht wäre. Ich merke es erst, als das Wasser durch den Schlafsack hindurch dringt. Alles ist nass. Um 4:00 Uhr morgens baue ich dann doch mein Zelt auf. Schnell noch trockene Sachen anziehen und dahin bibbern. Es ist kalt und ohne Schlafsack werde ich nicht wirklich warm, bleibe aber trocken. So schlafe ich dann doch noch die eine oder andere Stunde. Danach kämpfe ich mich durch den frischen Matsch und nehme letztlich doch das Angebot der Fähragentur an, ein Zimmer im einzigen, wenn auch nicht so tollen Hotel zu nehmen. Den ganzen Tag bin ich damit beschäftigt meine Sachen zu trocknen. Die Hotelchefin hilft mir sehr dabei. Zugegeben, eigentlich müsste ich ehrlicherweise sagen, den ganzen Tag ist sie damit beschäftigt meine Sachen zu trocknen und ich helfe ihr dabei. Tags drauf ging es dann endlich nach Japan. Das erste Aha-Erlebnis ließ nicht lange auf sich warten. An Bord gab es für jeden ein Tablett mit Essen. Zwei Croissants (naja, sowas in der Art), Käse, Butter, Marmelade und ne Wienerwurst…dachte ich. War dann ne Fischwurst. Echt fies. Ich hatte ordentlich reingebissen und hatte doch einen leicht anderen Geschmack erwartet. Aber es gab ja noch zwei Rösti. Die werden das schon neutralisieren. Auch Fisch. Nichts gegen Fisch, aber der Geschmack war schon ziemlich künstlich. Ich gebe auf und schlaf ne Runde. In Wakkanai angekommen, soll ich als einer der Ersten von Bord, da mein Motorrad ganz vorn an der Ausfahrtrampe steht. Nicht machbar. Ich komme als einer der Letzten durch, obwohl ich Nummer 5 🙂 in der Schlange war. Die Warteschlange, in der ich stehe, hat als Grenzer die japanische Version von Homer Simpson erwischt. Arbeiten? Das ist doch das, was die anderen machen. Sein Kollege schafft es, alle japanischen Passagiere (knapp 100) und ein dutzend Ausländer abzufertigen, bis ich endlich an der Reihe bin. Aber ich komme nicht durch, da ich NOCH ein Formular auszufüllen habe. Also zurück. Während ich so warte, kommt der Gegenpart der russischen Fähragentur zu mir und eröffnet mir die Rechnung für die KFZ-Versicherung und den Einfuhrzoll. Plus Spesen. Knapp 200 € darf ich bezahlen. Na, herzlich Willkommen. Aber irgendwann bin ich dann endlich drin. Ganz ohne Carnet de Passage! Es hat geklappt! Aber auch ohne Karte und Ahnung. Die Maschine wurde zwischenzeitlich rausgeschoben. War bestimmt ein Spaß mit verriegeltem Lenkradschloss.
Mein Versuch eine japanische Telefonkarte zu besorgen, damit ich mobil Straßenkarten herunterladen kann, scheitert, da ich kein Japaner bin. WLAN ist auch nicht, also blind ins Abenteuerland. Wie passend. Es ist Abend und alles ist teuer. Und Abend bedeutet hier: Dunkel. Stockdunkel. Um 19:00 Uhr geht die Sonne unter…nein, sie ist schon weg. Dafür kommt sie gegen 3:00 Uhr wieder. Daran muss man sich erst mal gewöhnen. Ist bestimmt ein Marketinggag: So früh wie hier, im Land der aufgehenden Sonne, geht sie nirgends auf.
Vladivostok liegt um einiges westlicher, aber ist zwei Stunden voraus. Ich komme also nicht weit. Noch was essen (hurra, keine Fischwurst) und ne Unterkunft finden.
Am Tag darauf geht’s die Küste entlang nach Sapporo. Kaum stelle ich meine Maschine irgendwo im Zentrum ab, werde ich schon von Marcin (sprich: Martin), einem polnischen Weltreisenden, angequatscht. Er ist seit elf Jahren mit dem Motorrad unterwegs, davon die letzten sechs Jahre mit seiner (unterwegs kennengelernten) japanischen Freundin. Beide leben ausschließlich davon, dass sie Fotos von unterwegs auf der Straße verkaufen. Wirklich gute Bilder. Da kann ich nicht mit halten. Allerdings fotografiert er auch mit ner Hasselblad. Dann darf er auch besser sein. Beide geben mir tolle Tipps und laden mich ein, bei ihnen zu übernachten. Bei den Preisen hier: SEHR gerne!
Zuvor ziehe ich durch die Stadt. Schon krass. Ich bin wie geflasht. Alles bunt, alles optisch überladen mit irgendwelchen Tafeln, Schildern, Hinweisen, überall Töne, denn alles gibt andauernd akustisch irgendwelche Hinweise: Ampeln, Geldautomaten, Getränkeautomaten, elektronische Werbeplakate, dazu noch Dauerbeschallung von Musik oder/und Werbung bei jedem dritten Laden. Beim größten Elektronikmarkt der Stadt will ich aus lauter Neugier mal reinschauen und eventuell ne kleine Ersatzkamera kaufen. Drinnen ist es schlimmer, als draußen. Wie ferngesteuert irre ich durch die Gänge und komme, ohne noch zu wissen, was ich eigentlich wollte, mit leeren Händen wieder raus. Wau. Zwei Stunden drinnen gewesen und es kam mir einerseits vor wie fünf Minuten, aber andererseits wie eine halbe Ewigkeit. Wie wird dann erst Tokio?
Meine Maschine gibt seit Sachalin komische Klackergeräusche von sich, außerdem wären neue Schlappen ganz gut, denn die Stollen der Geländereifen sind nicht mehr. Achja, und dann war da noch die Sache mit meiner Hinterradfederung. Durch die hochmotivierte Schweißaktion in Chabarowsk hat es wohl durch die Hitze die O-Ringe (meine auserkorenen Lieblinge dieser Reise) zerlegt. Was soll ich sagen? Öl, Lache, kaum noch Federweg. Also zu den drei BMW Werkstätten und nachfragen. Federbeine gibt’s keine auf Lager, aber dafür bekomme ich „neue“ gebrauchte Reifen. Die Japaner sind Sicherheitsfanaten. Da BMW ja für jedes Jahr bzw. alle 15.000 km (aber das schafft hier keiner, denn nach max. 10.000 km werden die Maschinen ins Ausland verkauft) einen Service vorsieht (Ölwechsel), wird hier gleich mal das große Programm gefahren: u.a. Reifenwechsel, neue Bremsbeläge. Jedes Jahr. Bei vielleicht 2.000 gefahrenen Kilometern pro Jahr. Meine neuen Bridgestone (leider keine Metzeler) haben, wenn überhaupt, 500 km hinter sich. Einen kompletten Satz, gerade mal frisch eingeschliffene, Bremsbeläge bekomme ich einfach so. Dafür reduziert er den Paketpreis um 50 €. Jetzt zahle ich für einen Satz Reifen, einmal Motorsynchronisierung und kleine Inspektion 150 € komplett. Das ist mehr als fair. Und endlich treffe ich auf einen Mechaniker, der es drauf hat. Er kennt sich echt gut aus und meine Maschine schnurrt, wie schon lange nicht mehr. Zwar nicht wie ein junges Kätzchen, aber halt auch nicht mehr wie ein ausgewachsener sibirischer Tiger mit Verdauungsstörung. Ein bisschen Werbung kann ich da schon machen: www.nordbahn.jp
Danach geht es per Fähre zur Hauptinsel. In Hakodate übernachte ich am Hausberg mit Hafenblick. Hakodate ist einfach klasse. Hätte ich das zuvor geahnt, hätte ich mehr Zeit für die Stadt eingeplant, aber meine Fährtickets sind bereits reserviert. Am Fährhafen ist es mir zu unruhig, weswegen ich kreuz und quer durch die Stadt nach nem ruhigen Plätzchen suche. Irgendwann lande ich am Park des Hausbergs. Die Zufahrt zum Gipfel war gesperrt, aber mit einem Schild versehen, dass sie nachts wohl geöffnet wird. Das kann ich abwarten. Das Schild mit einem durchgestrichenen Motorrad habe ich einfach mal ignoriert. Das sah zu sehr nach nem Reiskocher aus und nicht nach ner Weltreisemaschine. Bei Ersterem kann ich verstehen, dass man die nicht rauf lässt! Letzteres ist sicherlich ausdrücklich gewünscht. 🙂 Naja, eventuell auch nicht. Oben angekommen werde ich sofort auf den Faux-pas hingewiesen. Allerdings kommt wohl das Verbot daher, dass diese kleine Bergpassage von der Stadtjugend für Rennen missbraucht wurde. Diesen Eindruck vermittle ich wohl nicht. Somit werde ich ganz galant von den Ordnungshütern ignoriert. Ungestört kann ich den grandiosen Blick auf die schlafende Stadt und den Hafen genießen. ;
An einem verlassenen Parkplatz unterhalb des Gipfels stelle ich mein Zelt auf. Doof, dass das der Treffpunkt der Sportwagenfahrer ist. Die Stadtjugend hat von Motorrad auf Auto umgeschwenkt. Gleiche Strecke, gesetzesmäßiges Gefährt. Und damit kann man ja soo toll Drifts und Burnouts auf verlassenen Parkplätzen machen. Schimpfend verlasse ich mein Zelt und baue mich vor den Jungs auf. 65 kg Lebendgewicht auf 1,72 m verteilt. Da bekomm selbst ich Angst… Sie verstehen kein Wort, können aber meinem Gesichtsausdruck ablesen, dass ich eher geneigt bin einen imaginären „Gefällt mir nicht“-Knopf zu drücken. Was hatte ich erwartet? Gelächter? Ne Prügelei? Ich bin in Japan! Eine herzzerreißende Entschuldigungsarie folgt. Und dann war Ruhe.
Na das klingt doch nach einem ganz versöhnlichen Abschied, den dieser Reiseabschnitt und vielmehr dieser Kontinent Dir bereitet.. Und nun auf zu neuen Gestaden, von dort „wo die Sonne niemals hinscheint“ >) nach dort, wo die Sonne aufgeht!
Der Kerl, mit dem Du Dich jetzt wieder verträgst, ist übrigens ein ganz passabler Typ, es lohnt sich, wieder mit ihm zu sprechen – er hat einen wunderbaren Humor (und einen tollen Bruder) 🙂
Anyway, viel Erfolg beim Japaner austricksen und immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel, dann sehen wir uns schon bald auf dem „Neuen Kontinent“ – dort klappt’s dann auch mit dem Lachs.. take care!