14. Etappe: Tashkent – Osh

Mein Visum für Usbekistan läuft ab und zwar am nächsten Tag. Bis zur kirgisischen Grenze sind es knapp 350 km. „Kein Problem,“ denke ich mir „das schaffe ich an einem Tag“. Der Polizist an der Kontrollstation zum (usbekischen) Fergana-Tal sieht das anders. Das sei zu kurz. Er will mich beinah schon nicht mehr in das Gebiet Richtung Osh hinein lassen. Weiß er etwas, was ich nicht weiß? Sind die Straßen doch schlechter als angenommen? War ich jetzt doch zu naiv?

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Ich kann ihn letztlich doch davon überzeugen, dass meine „Bä äM Wä aus Germania/Muinchen“ das schon packt. Widerwillig lässt er mich ziehen. Jetzt vermute ich hinter jeder Kurve das Schlimmste. Doch es kommt nichts. Aber jetzt…ne, nichts. Habe ich mich etwa verfahren? Negativ. Vollkommen enttäuscht entschließe ich mich dazu, meine letzten usbekischen Schwarzmarkt-Som für das exklusivste Hotel, das ich vor der Grenze finden kann, zu verprassen. Letztlich ist es doch nur eine Absteige, aber was Besseres gibt es hier wohl nicht. Also doch noch mal groß Essen gehen und volltanken. Beim Frühstück treffe ich zwei Usbeken, die im ganzen Land Computerschulungen für Blinde geben. Die Software und die Förderung kommen aus Deutschland. Na, zumindest mal keine Panzer. Das erste Mal kann ich über Politik mit Einheimischen in diesem Land reden. Beide sind gerne in diesem Land, obwohl sie der Meinung sind, dass noch sehr viel geschehen muss. Aber sie bewerten es als natürlichen Prozess. Die jungen Leute kommen zwangsläufig in ein paar Jahren in die Ämter (ob hohe oder ausführende Posten) und damit einher auch ein anderes Verständnis von Freiheit. Bis dahin ist es ein Aussitzen des antiquierten Systems und das Nutzen der vielen kleinen Nischen.
Kurze Zeit später bin ich an der Grenze zu Kirgistan. Die Unterschiede werden mir schnell bewusst:
1 Stunde für die Ausreise aus Usbekistan
10 Minuten (inkl. 5 Minuten Wartezeit) für die Einreise nach Kirgistan
Nur jede dritte Tankstelle hat Benzin (80 Oktan oder schlechter) in Usbekistan
Jede Tankstelle (bislang) hat mindestens 92 Oktan Benzin in Kirgistan (trotzdem gleicher Preis)
Alte klapprige Autos (Lada, Kia, Daewoo, usw.) auf den Straßen Usbekistans
Deutscher Gebrauchtwagenmarkt in Kirgistan (mit Vorliebe für Mercedes)
Tatsächlich ist das Land Usbekistan u.a. aufgrund der Bodenschätze „reicher“ als Kirgistan, aber der Lebensstandard scheint in Kirgistan im Durchschnitt höher zu sein.
Ok, das sind nur Oberflächlichkeiten.
Zur Ehrenrettung der Usbeken: Nicht ein einziges Mal erwartete man von mir eine Gegenleistung bei erbrachter Hilfe. Natürlich gab es Kugelschreiber oder Feuerzeuge als Dank, aber Geld wäre schier undenkbar gewesen.
In Kirgistan ist das schon anders: „Starthilfe für das Motorrad? 2 US-$!“ Und das war nicht die Ausnahme. So ein Mercedes will abbezahlt werden.
Auch wenn ich nicht den gesamten Pamir-Highway (Highway steht hierbei nicht für Highway=Autobahn) fahren werde, da mir das Visum für Tadschikistan fehlt, will ich ihn doch mal anschnuppern. Und vielleicht mal an die chinesische Grenze fahren? „Oh, mein chinesisches Visum ist im November 2010 abgelaufen? Ups!“ und zurück. Deswegen geht es unmittelbar nach Sari Tash.
Aber dann war da noch die Regenwolke, die seit Kasachstan wohl eine Rechnung mit mir offen hatte, da ich sie dort gar so ignorierte. Mit einem Schlag ging es los: Wasser! Bin ja vorbereitet. Also, Regenüberjacke und -hose überziehen. Vorher die Jackentaschen leeren, denn da komme ich dann nicht mehr ran. Tja, blöd gelaufen, denn das war der Tod meines Kameradisplays. Meine kleine Lumix bekam wohl einen „Hauch“ zuviel Wasser ab und verweigerte seitdem zu zeigen, was sie selbst sah. Trotz verschiedener Trocknungsaktionen. Jetzt muss ich mit der Kamera blind fotografieren. Endlich eine qualifizierte Ausrede für misslungene Bilder.
Die aufgezwungene Pause zog neugierige Blicke auf sich. Langsam aber beständig kam eine kleine Schar vom Bauernhof nebenan immer näher. Man lud mich zu selbstgemachten Spezialitäten wie Käse, Milchcreme und Pferdemilch ein. Der 2 cm große, kugelförmige Käse war sehr kräftig: im Geschmack genauso wie im Biss. Kurzzeitig dachte ich, dass sie mir aus Versehen einen Stein gegeben haben. Aber das gehört so. Die Milchcreme war relativ süß und recht gut. Die Pferdemilch…nun, die Pferdemilch war unglaublich. Unglaublich lecker. LEIDER vergaß der liebe Gott, mich mit den notwendigen Geschmacksrezeptoren auszustatten, damit auch ich diesen unvergleichlichen Geschmack ernsthaft würdigen konnte. Somit war Konzentration angesagt. Bloß nicht während des Trinkens atmen (und riechen), sofort runterschlucken und keine Miene verziehen. Egal was der Körper sagt. Und er sagte so einiges. Wenig Positives. Das eigentlich Fiese war, dass diese Pferdemilch nachöxelte. Gebt mir mehr von dem Steinkäse! ..wie bei Schnick-Schnack-Schnuck: Stein schleift äh…Pferdemilch!?? Klappt nicht. Entweder merkten die Gastgeber nichts von meinem inneren Fest oder sie liebten es, mich zu quälen. Ständig wurde mir nachgeschenkt und sie scheinten zu sagen: „…weil’s ihm gar so schmeckt. Alle anderen Touristen haben es immer gleich ausgespuckt!“
Dann ging’s weiter. Traumhafte Bergstrecke in noch traumhafterer Landschaft. Bombastisch.

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In jedem Dorf gab es eine Horde Kinder, die wie entgeistert winkte und zwar mit allem: Eine Hand, beide Hände, Hände und Füße, teilweise der ganze Körper. Unglaublich süß ein ungefähr zwei-jähriges Mädchen, das irgendwann so vor Freude hüpfte, dass sie vergaß weiter mit der Hand zu winken und diese wie versteinert in die Luft hielt. Am besten war aber am nächsten frühen Morgen ein ungefähr sechs Jahre altes Mädchen, das gerade an einem Bachlauf hockend die Zähne putzte. Scheinbar war sie Tage zuvor beim Zahnarzt, der sie ermahnte, die Zähne nach einem wissenschaftlich fundierten Schema zu reinigen. Sie war so konzentriert bei den Bewegungsabläufen, dass sie nur die Augen auf mich richtete ohne den Kopf auch nur minimal zu bewegen und mit der freien Hand wie mechanisch, synchron zur „Führungshand“ winkte. Allen (Zahnputz-)Pflichten zum Trotz: Es muss auch gewunken werden!
Unterwegs traf ich einen Engländer, der mit dem Fahrrad von West-China nach London unterwegs ist, um seinen neuen Job anzufangen. Beim nächsten Arbeitgeberwechsel zu einem anderen Kontinent sollte er aber auf ein Flugticket bestehen.
Nach ein paar weiteren Kilometern kamen mir zwei Motorradfahrer entgegen. Endlich! Und dann vom Pamir-Highway. Die haben bestimmt Einiges zu erzählen! Es sind zwei Deutsche: Thomas und Andreas. Also kann ich sogar verstehen, was sie erzählen. Aber sie waren gar nicht gut drauf, was ich dann auch verstehen konnte. Acht Wochen Urlaub, um gemeinsam diese höchstgelegene Passstraße mit dem Motorrad zu fahren. Aber Thomas KTM geht bei über 4000 Höhenmetern aus. Darunter gibt es keine Probleme, aber darüber macht der Motor nichts mehr. Das war der zweite Versuch, nachdem der Erste 2010 durch Unruhen in Osh und gesperrte Bergstraßen abgebrochen werden musste. Sehr schade, aber Kopf hoch:
Ihr habt es versucht! Andere wagen es noch nicht einmal, daran zu denken. Mehr Infos auf www.anju.de bzw. www.thoris.de

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Es ging immer höher und höher. Die Temperatur hingegen ging immer tiefer und tiefer. Über dem Taldyr Pass mit seinen 3600 m war es dann schon recht schattig. Allzu fix konnte ich nicht rüber, da knapp 3 km noch nicht asphaltiert sind. Die Bauarbeiten sind aber schon im Gange. Kurz dahinter wartet dann Sari Tash, als Knotenpunkt zu China und Tadschikistan. Da werde ich mich einquartieren und am nächsten Tag mal die Gegend erkunden. Kaum halte ich an, werde ich auch schon angesprochen, ob ich eine Unterkunft suche. Jo. Und dann ging es über einen Schottersteilhang, eine 50 cm breite (!! da konnte ich bestenfalls mit einem Fuß aufsetzen) Brücke und durch mehrere Vorgärten zu einem kleinen Häuschen. Kaum angekommen geht schon wieder der Motor von selbst aus. Es ist die Batterie.
Aber jetzt erst mal rein in die gute, kalte Stube und etwas essen. In drei Zimmern, mit jeweils knapp 15 qm, wohnen hier 7 Familienmitglieder. Ein Raum wird für mich allein reserviert. Das ist mir schon fast peinlich. Die Familie scheint wirklich sehr arm zu sein. Alle Habseligkeiten der gesamten Familie passen in zwei Kommoden. Mehr Möbel gibt es auch nicht. Das Abendessen und das Frühstück fallen dann auch etwas karg aus: Trockenes Brot und Milchcreme bzw. eine Art ranzige Butter (ist eine Spezialität). Dabei haben sie alles, was sie haben, aufgetischt. Hier lasse ich mich nicht einladen. Da werde ich etwas da lassen.
Die Jüngste der Familie, ein vierjähriges Mädchen, hat sichtbar Respekt vor mir. Sie traut sich nicht, den Raum zu betreten, in dem ich bin. Ab und zu merke ich, wie sie ganz verstohlen hinter dem Türrahmen hervorlugt. Wenn ich sie dann anschaue, bekommt sie ganz große Augen und verschwindet ganz schnell mit einem großen Poltern. Aber dann nimmt sie sich ein Herz (und die Hand des großen Bruders) und schreitet hinein. Jetzt werde ich von allen Seiten neugierig beäugt. Irgendetwas führt sie im Schilde (denn sie grinst auf einmal so frech), aber bevor es dazu kommt, wird sie auch schon gepackt und ins Bett gebracht. Kurz darauf macht sich die ganze Familie für die Nacht bereit. Eigenartig, aber es ist doch noch gar nicht so spät?! Doch, ist es. Nur habe ich vergessen, meine Uhr auf die neue Zeitzone einzustellen. Ich leg mich dann mal unter die unglaublich dicke Decke, unter der ich sicherlich tierisch schwitzen werde. Das Gegenteil wird der Fall sein. Es wird so kalt, dass ich mir sogar überlege, meine Motorradklamotten anzuziehen. Am nächsten Morgen will ich gar nicht wirklich aufstehen bei den eisigen Temperaturen, denn mich erwartet nichts Warmes hier. Keiner der Räume ist geheizt. Entsprechend kalt sind auch meine Klamotten. Tja, da muss ich jetzt durch. Nach dem Frühstück will ich aufbrechen. Aber ich brauch schon wieder Starthilfe. Langsam nervt es. Da kaufte ich mir extra die unsagbar teure Hawker Batterie, die gerade für solche Reisen empfohlen wird, und dann macht sie mir von Beginn an Probleme. Zusatzverbraucher waren alle aus. Bislang war immer jemand in der Nähe, der mir Starthilfe geben konnte. Aber wie wird das in der Mongolei oder in Sibirien sein? Ich werde mir was einfallen lassen müssen.
Da die Familie selbst kein Auto hat, wird ein Nachbar gefragt. Zumindest springt der Motor meiner Maschine unmittelbar an. Schnell die Sachen packen und verabschieden. Der älteste Sohn ist wohl für die Finanzen zuständig. In gewisser Weise wurde es wohl erhofft, dass ich mich erkenntlich zeige. Entsprechend gering fällt der Widerstand aus, als ich das Geld gebe. Er will lieber US-$ als Kirgisische Som, kennt aber den Wechselkurs nicht. Kurzzeitig zeigt er sich enttäuscht, über den scheinbar geringen Betrag, den ich ihm aushändige. Dann erklär ich ihm, wieviel Som es sind, und sein Gesicht strahlt leicht auf.
Meine Pläne, die Gegend zu erkunden, verwerfe ich. Mir ist der Vorfall mit der Batterie nicht ganz geheuer. Außerdem habe ich Hunger und mir ist kalt. Also zurück nach Osh. Wieder treffe ich den Engländer, der auf dem Weg zur Arbeit ist. Dann die winkende Zahnputzerin und wenige Kilometer danach muss ich anhalten, um mich von meinen Winterklamotten zu befreien. Es ist so warm! Frühstücken wollte ich ja auch noch. Am nächsten „Kafe“ halte ich an und ess zwei Spiegeleier. Es gab sonst nichts anderes. Nur noch kurz dösen und weiter. Aber da kommt eine Kirgisische Gruppe vorbei, die sich brennend für mein Motorrad interessiert.
„Ach, Du kommst aus Deutschland!“ sagt einer.
Halb benommen antworte ich: “ Da. Germania.“
??? Das war doch gerade akzentfreies Deutsch? Ja. Ernest, so der Name des Kirgisen, der mich eben angesprochen hat, lebte acht Jahre in Deutschland, hat dort studiert und gearbeitet. Jetzt kam er wieder zurück und arbeitet im Finanzministerium. Ich werde zu leicht angegorener Pferdemilch eingeladen. Wär doch nicht nötig gewesen! Aber ich bin ja geübt. Die restliche Gruppe fragt mir Löcher in den Bauch. Ernest übersetzt in beide Richtungen. Am Schluss empfiehlt er mir ein Hotel und wir verabreden uns auf ein Bier (schon besser) in Osh. Leider funktioniert meine SIM-Card in Kirgisien nicht, weswegen es nicht dazu kommt.
Das Hotel habe ich schnell gefunden. Und wen treffe ich da? Thomas und Andreas! Jetzt können wir uns länger über unsere Touren unterhalten. Am nächsten Tag geht’s durch Osh und Tags drauf Richtung Bishkek.

Eine Antwort auf „14. Etappe: Tashkent – Osh“

  1. Wow, Christian, die Fotos von den Bergen schauen absolut surreal aus – fast wie gemalt.. Und die Geschichten, die Du aus Kirgisien erzählst klingen sehr interessant: da ist man also als Motorradreisender noch Superstar 😉
    Schade, dass die Essgewohnheiten (vergorene Pferdemilch) so bizarr sind und das bereits bei Deiner legendären Leidenschaft für Grießpudding und Milchreis :-/
    Viel Glück weiterhin und noch mehr Glück für Deine Batterie! ..und mach Dir bitte keinen Landesaufkleber von Kasachstan drauf – so wie einer der deutschen Motorradler auf dem Bild 😉

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