25. Etappe: Denver – New York – Vom Winde verweht

Der in Vancouver neu aufgezogene Hinterreifen ist schon seit Las Vegas nicht mehr wirklich gut. Seit Albuquerque ist er eigentlich nicht mehr zulässig und seit Denver bester Rennstreckenslick. Zumindest in der Mitte. Die ewigen Geraden zollen hier nun mal Tribut. Ein Glück, dass ich ab sofort ne steife Brise von der Seite habe, so kann ich auch mal den Rand besser abnutzen.

Aber auf kurz oder lang muss ich den Reifen tauschen. Und wenn ich schon dabei bin, dann nehm ich gleich meinen Lieblingssatz mit dem Elefanten. In Kansas City wartet ein neues Paar auf mich.
Der Tausch gestaltet sich deutlich schwieriger als gedacht. Gewöhnliche Reifenhändler haben angeblich nicht die Möglichkeit Motorradreifen neu aufzuziehen. Da die Saison schon vorbei ist, haben die meisten Motorradwerkstätten geschlossen. Motorradhändler haben oft keine Werkstatt im Haus. Es wäre gelogen, würde ich behaupten, dass ich das selbst herausgefunden habe. Ich habe einfach das Glück, dass ich bei einem Reifenhändler auf Rychard, einen Motorradenthusiasten, stoße, der für mich die Gelben Seiten durchtelefoniert. Nach einer Stunde hat er Erfolg. Es findet sich eine Werkstatt, die noch offen hat und bereit ist Reifen, die ich mitbringe, aufzuziehen. Und sie befindet sich ganz in der Nähe, wie er mir mit Stolz mitteilt. Damit ich’s gleich finde, fährt er mir voraus. So nach knapp 40km geht mir dann der Sprit mitten auf einem Expressway aus. Mit „in der Nähe“ hatte ich nicht eine Fahrt von knapp einer Stunde durch den Berufsverkehr vermutet. Aber auch da hilft Rychard mir und nach knapp einer halben Stunde sind wir tatsächlich bei der Werkstatt. Es ist mittlerweile Mittag und ich plane schon mal meine Tour durch die Stadt, die ja sehr schön sein soll. Leider wird daraus nix. Aus der anberaumten halben Stunde zum Wechseln der Reifen, was realistisch ist, werden fünf Stunden. So erhalte ich die Möglichkeit Kansas City bei Nacht kennenzulernen. Auch nicht schlecht. Definitiv besuchenswert die Stadt.


Weiter nach St. Louis. Die Fahrt mit dem speziellen Lift des „Arch“, deren Kabinen wie Rettungskapseln aus Science-Fiction-Filmen anmutet, und der Blick aus „the Arch“ sind der Höhepunkt der Stadtbesichtigung. Ganz nette Stadt, aber als Hauptreiseziel werde ich die Stadt nicht einplanen.

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Wenn es bislang schon recht windig war, kommt jetzt eine erfrischende Kühle hinzu. Die Tage, an denen ich mit dem Sommermotorradanzug fahren konnte, sind vorbei. Von Tag zu Tag kommt eine Schicht lange Unterwäsche hinzu. Die Heizgriffe glühen im Dauerbetrieb. Wenn es der Wettergott gut mit mir meint, bleibt es trocken, ansonsten schickt er Regen. Er scheint mich nicht zu mögen, wobei er wohl noch hadert. Ab und zu blinzelt er mit einem Sonnenstrahl hinunter…womöglich nur um zu sehen, wo ich gerade bin, damit er noch mehr Regen schicken kann.
Seit Denver habe ich für mich bei größeren Städte den Rhythmus eingeführt, zwei Nächte zu bleiben. So habe ich mindestens einen Abend und einen ganzen Tag, um in eine Stadt hinein zu schnuppern. Eigentlich viel zu wenig, aber für mehr reicht die Zeit nicht. Der Winter kommt bestimmt. Und da will ich schon weg sein. Eigentlich könnte ich das Tempo noch erhöhen, indem ich früh aufstehe, die Stadt besichtige und dann mittags wieder weiter. Dann würde ich in vielen Fällen auch mittags bei der nächsten größeren Stadt ankommen, um schon einen ersten Eindruck zu gewinnen. Aber das ist mir doch zu hektisch. Ich bin ja nicht auf der Flucht. Und es bewahrte mich vor Sandy in New York. So erlebte ich die Vorläufer auf dem Weg zwischen Chicago und Toronto. Chicago ist ja „the windy city“. Diesen Titel hat sich die Stadt auch wirklich verdient. Kaum ein Straßenzug, in dem es nicht weht. Irgendwann war es mir zu blöd…und eigentlich auch zu kalt und bin beim nächsten Laden rein. Oha, ein Friseur. Das trifft sich gut. Mein Helm ist schon etwas eng geworden.

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Die Hoffnung, der Wind würde nachlassen, sobald ich „the windy city“ verlasse, erfüllt sich nicht. Es wird immer schlimmer, dabei ist Sandy doch noch irgendwo vor der Küste und ich zudem 800 km entfernt von dieser. Naja, Naturgewalten. Die halten sich nicht an die beschränkten Vorstellungsmöglichkeiten eines Reisenden.
Es gab auf dieser Reise nicht viele Situationen, bei denen ich angehalten habe, um kurz inne zu halten und mich auf einen gewissen Streckenabschnitt zu konzentrieren, da ich wusste, dass es besser ist keinen Fehler zu machen, oder besser ausgedrückt: Ein Fehler wäre fatal geworden. In der Mongolei, als ich mutterseelen allein vor einem Steilhang stand zum Beispiel, der steiler war als die Hänge im Trainingsgelände von BMW und mit Felsen versetzt war. Und eigentlich auch noch ein Stück höher. Ein ziemliches Stück. Da stand ich und dachte mir: „Naja, was soll’s? Es gibt halt kein Zurück.“ Gut, es hätte schon eins gegeben, aber dieses „Zurück“ wäre unkontrolliert gewesen. Es war schon sehr steil und hoch. Wie auch immer. Jetzt an der Brücke zum Grenzübergang nach Kanada war wieder so ein Zeitpunkt. Es war nicht steil, gut es war hoch, aber es war ne große, intakte Brücke. Das Blöde war der Wind. Eigentlich waren es Sturmböen. Die waren schon ordentlich und kamen mal von links und mal von rechts. Also durchschnaufen, warten bis kaum Verkehr ist und rüber. Die 200m fühlten sich an wie ne halbe Ewigkeit. Die drei Fahrspuren habe ich zur vollen Breite benötigt. Es blies mich von der Mitte nach links und wieder nach rechts. Meine Schräglage war beinahe schon am Maximum. Nicht mehr viel und ich hätte aufgesetzt…beim geradeaus fahren. Hätte ich die Ruhe gehabt und hätte meine Hand ausgestreckt ich hätte das Geländer berühren können. Ich hatte sie nicht. Die Zöllnerin direkt am Ende der Brücke begrüßte mich mit einem „You did it!“. Weiter Richtung Toronto. Die Nässe und Kälte waren mittlerweile mehr als ungemütlich. Jede Raststätte war mir willkommen, jedoch hielt ich dann doch nicht bei jeder an. Ich verliere einfach zu viel Zeit durch die Pausen, da ich so gut verpackt bin, dass es eine halbe Ewigkeit dauert, bis ich mich freigeschält habe und doppelt so lang, bis ich mich wieder eingepackt habe. So zitter ich mich warm. In Toronto stell ich mich nur noch unter die heiße Dusche und verbrauche bestimmt den halben Warmwassertank des Hotels bis ich nicht nur aufgetaut sondern ganz und gar verschrumpelt bin. Mein Aktionsradius für den restlichen Tag bewegt sich nur eine Armlänge um mein warmes Bett. Tags drauf treffe ich mich mit drei NeuAltkanadiern: Sue und Dirk. … 🙂 Ihr Nachwuchs war auch dabei, auch wenn er nicht wie vermutet an diesem Tag entschlüpfte. Schön gemütlich unterhalten und essen. Herrlich! Eigenartig, meist esse ich ja alleine und könnte es so ruhig angehen, wie ich will. Aber da hudel ich. In netter Gesellschaft isst es sich besser.
Dank Sandy bleibe ich länger in der Stadt. Den Tipp Dirks zur Sportbar mit riesiger Leinwand zu gehen, kannten andere auch. Schlechtes Timing. Irgendeine Sportveranstaltung ist kurz bevor ich dort ankomme zu Ende und knapp die halbe Stadt kommt mir entgegen. Die andere Hälfte steht vor der Sportbar und wartet auf Einlass. Tja, dann muss ich ein ander Mal nochmal kommen. Aber da muss man mich nicht dazu zwingen. Toronto hat mir gut gefallen.

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20121104-102224.jpgAber jetzt ist es soweit: Sandy ist vorüber gezogen und ich sollte mich mal daran machen, nach Europa zurück zu kommen.
An den Niagara Fällen vorbei, die ich nahezu allein bei Eiseskälte bewundern durfte, durch Sandys Schneise geht es an die Ostküste.

Nicht schön, was der Sturm angerichtet hat. Ab sofort habe ich mit Umleitungen zu kämpfen, die nicht ausgeschildert sind, Strommäste, deren Kabel sehr viel niedriger als üblich hängen, Häuser, deren Inventar oder auch deren Wände zum Teil auf der Straße liegen, und Bäume, die sich einfach mal hinlegen wollten. Dabei bin ich sicherlich derjenige, der von allen Anwesenden es mit Abstand am besten hat: Ich fahre nur durch. Knapp 70km vor New York sind die ersten Warteschlangen an den Tankstellen, wenn auch nicht außerordentlich lang. Je näher man der Multimillionenstadt kommt, desto länger werden dann auch die Schlangen und die Polizei ist dann auch immer präsent. Entsprechend ruhig verläuft das Prozedere. Zum Glück hatte ich noch zuvor getankt und dank meines 30 Liter-Tanks kann ich zum Schluss sogar noch ein paar Liter Benzin dem BMW-Mechaniker spendieren, der meine Maschine für den Flug in die Kiste einpackt. Der hat sich so sehr darüber gefreut, ich glaube, kein Trinkgeld der Welt (naja, zumindest keines was ich bereit bin zu zahlen) hätte ihn glücklicher stimmen können. In New York angekommen, war die Stimmung eigenartig. Es herrschte eine angespannte Ruhe. Diejenigen, die am wenigsten betroffen waren, „lediglich“ mit Stromausfall zu kämpfen hatten, aber trotzdem z.B. noch Wasser hatten, schimpften am lautesten. Je härter getroffen, desto weniger äußerten sie sich. Denn Gesprächsthema Nummer 1 war Sandy. Nur am Wahltag wurde es durch die Hochrechnungen und letztlich der Wiederwahl Obamas abgelöst. Tags drauf war es wieder Sandy. Nur einmal erlebte ich, dass es beinahe zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen Autofahrern kam, die auf Benzin warteten: Einer wollte sich vordrängeln, viele waren dagegen.
Die Organisation des Rücktransports der Maschine gestaltete sich extrem schwierig. Bis auf eine Firma, antwortete keines der zuvor kontaktierten Unternehmen. Erst nachdem ich dann mein Motorrad verfrachtet hatte, erhielt ich von einer Firma dann die Nachricht, dass sie nicht wissen, ob sie jemals wieder arbeiten können werden. Es ist wohl nicht nur das Bürogebäude und das Lagerhaus schwer beschädigt (das ist meist versichert), am Schlimmsten sei der große Verlust der Kundendaten.
Für mich ist das größte Problem überhaupt in Kontakt mit möglichen Firmen zu treten: Es gibt nur an wenigen Stellen Internet. Spätestens hier wurde ich ein Starbucks und McDonalds-Pilger. Naja, Kaffee trinke ich wirklich gern, aber ich habe mich meist durchgeschwindelt. Eine amerikanische Telefonkarte kann ich mir nicht kaufen, da hierfür ebenfalls Internet notwendig ist. Zwar nicht für mich sondern für das ausstellende Geschäft, aber die hatten keines. Also doch wieder raus zum Flughafen und die einzelnen Büros abklappern. So verbringe ich einen ganzen Tag. Keiner will eine feste Zusage machen, da so vieles ungewiss sei. Der Wintersturm war ja angekündigt. Also nehme ich das einzige Angebot, das ich noch vor meiner Ankunft in New York erhielt. Dadurch verliere ich zwar die Möglichkeit von der Atlantikküste aus nach Hause zu fahren, aber was soll’s. So bringe ich meine BMW zu BMW Manhattan, die das günstigste Angebot zum Verpacken machten und auch nicht wie andere Firmen „erst mal schauen, wann es gemacht wird“, sondern unmittelbar anfangen und nach zwei Stunden fertig sind. In der Zwischenzeit einen Truck gemietet und durch Manhattan, Brooklyn und Queens (da waren sie wieder: die Umleitungen) zum Flughafen, abliefern und durch den Berufsverkehr zweieinhalb Stunden zurück. Den Truck muss ich getankt abgeben. Klar. Die Warteschlangen vor den Tankstellen waren utopisch lang. Wartezeiten von mindestens drei Stunden waren angegeben. Also Truck abstellen und am nächsten Morgen früh raus und hoffen, dass es besser wird. Es wurde besser: Nur noch eine Stunde Wartezeit. Jetzt konnte ich New York erobern, das Empire-State-Building erklimmen, auf den Decks der Touristenbusse frieren, durch Schnee stapfen (was für ein Timing! Ein Tag vorher fuhr ich dort das letzte Mal mit dem Motorrad) und die Freiheitsstatue bei Sonnenuntergang bewundern und noch vieles mehr.

(man beachte den Text auf dem Bus ganz unten im Bild)

Tja, und das war’s mit dem Kapitel Nordamerika. Jetzt komm ich heim.

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