Dr. Seltsam oder wie ich anfing, trotz allem zu lächeln

Wer ist Dr. Seltsam? Neben der Figur in Stanley Kubricks Film, definitiv ein großer Teil der Japaner. Eigentlich muss man sie lieben für ihre Eigenarten. Zwischenzeitlich fiel mir das schwer. Mittlerweile nehme ich das als Erlebnis auf. Mal sehen, wie lange ich das schaffe.

Knapp 20 Firmen oder Agenturen habe ich bereits kontaktiert, um mein Motorrad nach Kanada zu transportieren. Meist gehörte Antwort (neben Kichern, Lachen, Glucksen): „Oh, Kanada? Das liegt nicht in Japan. Das wird schwierig! Viel Glück!“ Ihr ward Exportweltmeister! Export!! Und dann die Antwort, die einem überall in Japan, zu jeder Uhrzeit, bei jeglicher Gelegenheit gegeben wird: „Sorry!“ gepaart mit einer Verneigung und einem Lächeln. Wenn man Gefallen daran findet, stellt man direkt im Anschluss so sinnlose Fragen, wie „Wer kann mir dabei helfen?“, „Wo sonst finde ich das Passende?“. Wie kleine spezielle Duracell-Hasen wird wett-verneigt. Aber es zeigt seine Wirkung: Wirklich böse war ich bislang noch nie danach, sondern bin mit nem teilweise verbissenen Lächeln gegangen.
Aber ewig bleiben kann ich hier nicht. Das Land ist teuer. Ausnahmslos. Vergesst alles, was geschrieben wird, über günstiges Essen. Es ist teuer. Restaurant: Richtig teuer. Imbiss: Teuer. Supermarkt: Teurer als Imbiss. Aber alles sehr gut. Nur bei Hunger kommt man unter 10€ für eine Mahlzeit, egal wo gekauft, nicht weg. Es können auch 20€ werden. Und ich rede nicht von exklusiven Restaurants. Das gönnte ich mir nur in Begleitung mit meiner Kleinen! 🙂
Ich hatte sogar überlegt, nach Süd-Korea zu fahren, um von dort das Ganze zu organisieren. Soll billiger und einfacher sein. Aber zwei Tage Fahrt zum Hafen, dann neu orientieren und der Hammer: Als Deutscher darf man in Süd-Korea nicht selbst fahren. Warum auch immer. Wahrscheinlich halten wir zu oft an roten Ampeln. Sowas hält nur auf. Egal, das ist keine Lösung. Also weiter suchen und hoffen. Air Canada, Singapore Airlines, DHL, Nippon Express, die deutsche und kanadische Botschaft u.a. zeigten sich nicht Willens zu helfen. Bestenfalls immer ein Tipp, der ins Leere lief. Pah! Was ihr nicht könnt, schaff ich allein. … Hoffe ich.
Wäre hilfreich, wenn ich auch mal auf jemanden treffe, der am obligatorischen Englischunterricht an den Schulen teilgenommen hat. Die Englischquote liegt selbst in Tokio unter der von Usbekistan. Es ist zum Verzweifeln.
Die Suche nach einer Firma, die geneigt ist, mein Geld anzunehmen, kann ich in zwei Varianten durchführen. Erstens per Telefon (bzw. Internettelefon) an irgendeinem Ort, an dem ich natürlich Internet habe oder zweitens vor Ort im Cargobereich des internationalen Flughafen Tokios, an dem ich dann natürlich (zumindest für Ausländer in Japan) kein Internet habe. Es ist die Entscheidung zwischen Pest und Cholera. Ich nehme beides. Firmen, die mir am Telefon absagen, zeigen bei persönlichem Besuch dann doch die Bereitschaft, sich die Sache nochmal zu überlegen. Die Angebote bekomme ich aber per Mail, wofür ich Internet brauche. Und das ist ein großes Entgegenkommen, da sie eigentlich sowas nur per Fax zusenden. SMS kennt man hier angeblich nicht. Als ich es einigen auf meinem Handy zeige, waren sie wie gebannt. Kurznachrichten von Handy zu Handy ohne Internet? Toll. Aber ich glaub sie machten nen Spaß. Wahrscheinlich hatten sie einfach nur Angst über unfassbare Kosten von umgerechnet 50 Ct pro SMS an eine ausländische Nummer. Sie hatten dann eine für dieses Land typische Lösung: Ich soll in mein Hotel nach Tokio fahren, dort auf das Fax warten und dann wieder zum Flughafen zurück. Sind ja nur knapp 20 € und 4 Stunden Fahrzeit. Da schlage ich voll zurück und … lächle mit einem süßen „Sorry“ auf den Lippen. Das mit dem Verneigen bekomm ich auch noch hin. Also dann per Mail, auch wenn ich dafür zum Abflugsterminal zwei Kilometer entfernt hin muss, um sie abrufen zu können.
Angebot des Tages: Umgerechnet 15.000 € ohne Frühstück. Ich habe das Gefühl, ich werde noch Duracell-Verneigungshasenweltmeister. Allerdings klärte diese Firma schon mal alles mit dem Zoll. Das war recht nett. Wir tapern da so lang und plötzlich bin ich beim Zoll. Ich soll alle Dokumente vorzeigen, insbesondere das Carnet de Passage. Hab ich nicht. Ich hab was viel Besseres und zücke das abgestempelte Einfuhrformular. Und der Showdown ähnlich der üblichen Karatefilmkämpfe begann. Acht Zöllner (ich hab nachgezählt) stellen sich mir gegenüber und zücken jeweils ein hellgrünes Vorschriftenbuch.

Die Einfuhr eines ausländischen Motorrads ohne Carnet de Passage ist illegal!

Ne, nicht ganz. Dieses Formular hab ich ja nicht selbst ausgewählt oder gar abgestempelt. Das ist offiziell.

Der Jüngste muss vor und soll die Formularnummer bekannt geben. Kaum getan, wird wild geblättert. Ok, abgewehrt. Ein Zöllner geht.
Wo eingeführt?
Wakkanai! (Zwei Zöllner verschwinden)
Mist. Wann?
Vor zwei Wochen.
Mist. Wie? (Zwei Zöllner verschwinden)
Per Fähre!
Aha! Dann muss die Maschine auch per Fähre ausgeführt werden.
Es gibt aber keine Fähre nach Kanada.
Mist. Dann per Schiff!
Ne, keine Lust.
Oh. Wie dann?
Flugzeug!
Irrelevant! Hier steht, wenn es keine Fährverbindung gibt, ist die Ausfuhrart irrelevant.
Also hab ich gewonnen? (ok, das habe ich so nicht gefragt)
Nein! Unser Vorgesetzter muss das noch bestätigen.

Klingt jetzt alles wie erfunden, ist es aber nicht.
Insgesamt dauerte das Hin und Her zwei Stunden und endete damit, dass alles in Ordnung sei. Am Tag darauf ruft ein Zöllner an und will wissen, ob ich es schaffe, die Maschine über den Flughafen Tokio (Narita) auszuführen. Er und seine Kollegen würden so gerne dieses Formular bearbeiten, das sie bislang nicht kannten. Das nenn ich Arbeitseifer!
Die Firma ist letztlich mit dem ganzen Prozedere überfordert und schickt mich mit einer japanischen Übersetzung meines Anliegens weiter. Also den ganzen Tag von Büro zu Büro, denke ich mir. Aber schon beim Nächsten stutze ich nicht schlecht, als ich auf einmal ein Telefon in die Hand gedrückt bekomme und sich jemand meldet, mit dem ich tags zuvor telefoniert hatte. Dabei hatte ich extra darauf geachtet, zu dieser Firma nicht zu gehen. Zu kompliziert das angekündigte Verfahren. Jetzt ist er erstaunt, dass ich das Büro am Flughafen fand. Ich bin es auch, denn an der Bürotür steht ein komplett anderer Name. Zumindest verleitet es ihn, sein Verfahren zu überdenken und es geht auf einmal alles relativ fix. Ich bekomme einen eigenen Platz, wo ich meine Maschine auf den Transport vorbereiten kann und über den Preis können wir auch noch verhandeln. Naja, ein Schnäppchen ist’s nicht gerade: Am Anfang des Telefonats sind es umgerechnet 4.500 € am Ende etwas über 3.000 €. Das tut schon weh. Da werde ich wohl auf so manches Bier verzichten müssen die nächsten Wochen. Allerdings darf ich mich rühmen, den derzeitig günstigsten Preis für eine Maschine dieser Gewichtsklasse über den Pazifik ostwärts erhalten zu haben. Der lag bislang laut Angebotsliste bei 3.500 € per Schiff und vier Wochen Wartezeit. Die Zeiten, am Anfang meiner Reise als ich mich erkundigte, bei denen Preise um die 1.000 € kursierten, sind zumindest derzeit vorbei. Der Trick, sämtliche Flüssigkeiten aus dem Motorrad zu entfernen, dies von einer Werkstatt bestätigen zu lassen und somit das Motorrad als „normales Transportgut“ laufen zu lassen, funktioniert nicht mehr. Egal welche Airline ich kontaktierte, alle deklarieren gebrauchte Motorräder als Gefahrgut. Darüber hinaus nimmt so gut wie keine Airline ein gebrauchtes Motorrad von einer Privatperson mehr an. Es gab wohl zu viel Ärger in der Zwischenzeit.

Ein Erlebnis, vollkommen unspektakulär, passt zu diesem Land. Das Frachtlager befindet sich einige Kilometer weit entfernt vom Cargo- und Terminalbereich des Flughafens. Zumindest kommt man mit dem Bus hin und zurück. Ein Vorteil. Allerdings sind alle Fahrpläne, wie auch in Tokio, ausschließlich auf japanisch. Ein Bahnangestellter gibt mir die Nummer der Buslinie und wo der Busbahnhof ist. Dort hängt der Fahrplan. Einmal die Stunde fährt der Bus. Allerdings ist in rot und auf japanisch neben der nächsten Fahrzeit etwas geschrieben. Also frage ich einen Herrn, ob das bedeutet, dass der Bus nicht fährt. Er ist sichtlich nervös, da sein Englisch nicht sehr gut ist. Es reicht aber, um mir zu sagen, dass der Bus regulär fährt. Dann verabschiedet er sich ganz schnell und meint, er müsse jetzt zu seinem Bus, der schon wartet. Klar. Kein Problem. Hab ja alles, was ich brauch. Danke. Ich setze mich und warte. Nach einiger Zeit fällt mir ein Mann auf, der ganz eigenartig seitlich und rückwärts geht, mit dem Rücken zu mir. Seine Aktentasche hält er seitlich von seinem Gesicht, so dass ich es nicht sehen kann. Dann erkenne ich ihn: Es ist der Mann, der mir eben noch geholfen hat, den Hinweis vom Fahrplan zu übersetzen. Was hat er? Wollte er nicht mit dem anderen Bus fahren? Ich habe das Gefühl, dass er vorher vor mir geflüchtet ist und es ihm jetzt peinlich ist, wenn mir das auffällt. Da kommt auch schon mein Bus. Ich stehe auf, gehe zu ihm hin, nicke ihm zu und bedanke mich nochmal. Er schaut mich entgeistert an, nimmt die Aktentasche runter und kann plötzlich wieder problemlos gerade aus gehen. Er steigt in den selben Bus wie ich.

3 Antworten auf „Dr. Seltsam oder wie ich anfing, trotz allem zu lächeln“

  1. Juhu – neue Lektüre!
    Japan klingt nach einem lohnenswerten Reiseziel, aber da unsere letzte Reise den Geldbeutel schon ganz schön belastet hat… naja, dann vielleicht doch lieber wieder was Ex-Sowjetisches.
    Kanada würde mich aber auch sehr reizen, obwohl die Bären da auch nicht zu unterschätzen sein sollen ;o)
    Ich bin gespannt auf die nächsten Berichte.
    Viele Grüße von Evi & Oke

  2. Schön nach so langer Zeit wieder was von Dir zu hören und die Ausführlichkeit zeigt, dass Du wohl wieder richtig Spass dabei hast. Das freut mich echt. Jetzt halt die Ohren steif und „Pass auf die Bären auf!“

    Viele Grüße

    Michael

  3. Wahnsinns Geschichte und sie erinnert mich an den Buchbinder Wanninger von Karl Valentin – nur im fernen Japan..
    Wenn Du es schaffen solltest, Deine Maschine per Luftfracht über den Pazifik zu bekommen – und so sieht es ja glücklicherweise aus – solltest Du diese Geschichte in all Deine Bewerbungen einbauen 😉

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