24. Etappe: San Francisco – Denver – Endlose Weiten

Den Pazifik habe ich jetzt von beiden Seiten gesehen. Also ab Richtung Atlantik. Ist ein gutes Stück. Dazwischen gibt es einiges zu sehen. Schwierig eine Route zu wählen, denn wenn man sich für eine entscheidet, lässt man automatisch bekannte Sehenswürdigkeiten aus. Der Yosemite und Grand Canyon Nationalpark interessieren mich besonders. Dazwischen liegt Las Vegas. Kann ich ja mitnehmen. Muss man angeblich gesehen haben. Danach schau ich weiter.

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Kurz vor dem Yosemite Nationalpark will ich mein Zelt auf einem Campingplatz aufstellen. Allerdings bin ich der einzige Camper hier und die Warnschilder vor wilden Tieren insbesondere Bären sind unübersehbar. Ne, ich quartier mich wo ein. Am nächsten Morgen werde ich von Regen geweckt. Damit hatte niemand gerechnet. Auch die Einheimischen gingen von Sonnenschein an dem Tag aus. Ein kurzer Blick ins Internet ergibt, dass es am Tag drauf Sonne geben soll. Da bin ich mal gespannt. Ein Tag Pause ist ja nicht verkehrt. Ich komme ja nicht weiter, da der Tioga Pass wegen Schneefall gesperrt ist. Und den will ich schon gerne fahren. Tatsächlich wartet morgens die Sonne und die Fahrt durch den Nationalpark kann beginnen. Zu früher Stunde bin ich noch ziemlich der Einzige, der hier unterwegs ist. Je fortgeschrittener die Stunde, desto voller werden die Straßen. Für große Wanderungen habe ich keine Zeit. Einen der größten Wasserfälle hier will ich dann doch von der Nähe ansehen. Aber den Weg hätte ich mir sparen können, denn trotz Regen am Tag zuvor: Da fällt kein Tropfen Wasser hinunter. Im Frühjahr muss es dafür wirklich spektakulär sein, wie mir ein Bergführer, den ich unterwegs treffe, versichert. Da werden die Rinnsale, die ich kaum beachte, zu reißenden Strömen. Aber solange kann ich nicht warten. Auf dem Weg zum Tioga Pass ereilt mich ein großer Schrecken. Ich fahre gemütlich die enge, kurvenreiche Straße entlang und komme zügig an eine Familienkutsche heran. Ich setze zum Überholen an, da erschüttert die Maschine ein harter Schlag. Völlig verdutzt gehe ich vom Gas, denn ich hatte nichts auf der Straße bemerkt. War wohl ein größerer Stein, den ich übersehen hatte. Naja, kann ja mal passieren. Ist ja auch nicht weiter tragisch. Wieder ran ans Auto vor mir und Gas und…ein zweiter Schlag. Der geht aber nicht nur durchs Motorrad. Die Maschine zieht stark nach links und dann nach rechts. Der Schlag landet gegen mein rechtes Bein. Erschrocken schau ich hin und sehe meinen rechten Seitenkoffer nur noch an einem Packriemen baumeln. Seit der „Road of Hell“ in Kasachstan sichere ich sämtliches Gepäck doppelt. Diesmal hat das „lose“ Gepäck, sprich in diesem Fall der Packsack mit meinem Zelt, den Koffer gehalten. Ansonsten wäre er wohl den mehrere hundert Meter hohen Abhang runter gepurzelt. Gut. Dann überhol ich halt erst mal nicht. Rechts ran und Schadensbegutachtung: Nix weiter passiert. Ich weiß bis heute nicht, warum sich der Koffer löste, der verriegelt und abgeschlossen war. Wie auch immer. Zeit für einen Fehler. Ich öffne unbedacht den Verschluss des Spanngurts, an dem der Koffer hängt. Und plopp. Die Maschine stand auf abfallendem Gelände. Doof. Auch kein Problem. Ist ja doch ein bissl was los hier. Der nächste Touri kommt bestimmt. Und was in Kasachstan, Usbekistan, Russland…wo auch immer funktionierte, wird auch hier kein Problem sein. Denkste. Zahlreiche Autos fahren vorbei, um natürlich anzuhalten und Fotos zu machen, aber es hilft keiner. Muss ich jetzt wirklich meine Maschine alleine aufheben? Aber dann kommen doch ein paar Harley-Fahrer vorbei, die mithelfen. Sie schimpfen sogar noch mehr als ich, auf ihre Landsleute, die „so ignorant sind“. Und weiter geht’s. Abgesehen von diesem kleinen Zwischenmalheur, war dieser Tag traumhaft schön. Es hat alles gepasst. Der Yosemite Nationalpark landet definitiv auf meiner Liste „Orte, die ich unbedingt nochmal besuchen muss“.

Abgerundet wurde das Ganze durch den Mono Lake knapp außerhalb des Nationalparks. Eine andere Welt.

Kurz zuvor bei einer Rast, unterhalte ich mich mit zwei Harley-Fahrern und werde plötzlich von einem englischen Pärchen angesprochen: Ob ich nicht vor wenigen Tagen in San Francisco war? Äh, ja!? Sie haben meine Maschine gesehen. Er arbeitet bei KTM in London und berät die Abenteurreisenden, die mit ihren Maschinen unterwegs sind. Allerdings hat er selbst noch keine Weltumrundung gemacht und dabei sei das sein großer Traum. KTM in London. Da war doch mal was? Ja. Ewan McGregor und Charly Borman waren in dem Laden, wo er arbeitet. Und es sei anders abgelaufen, als es in den Medien dargestellt wurde. Er schimpft auf BMW. Da muss ich ja gleich mal einschreiten 😉 Also ich bin mit meiner BMW hier. Und wo ist seine KTM? Er lacht. Ja, er hat es wirklich vor und er wird es jetzt mal in die Wege leiten. Dann müssen die beiden weiter. Einem der beiden Harley-Fahrer rede ich gut zu. Seine Frau ist vor nicht allzu langer Zeit gestorben und sie war so gut wie bei jeder Motorradtour dabei. Jetzt macht ihm das Motorradfahren beinah keinen Spaß mehr ohne sie. Er überlegt, ob er die Maschine verkauft. Ob sie das gewollt hätte. Nein, gewiss nicht. Also?


Abends treffe ich übermüdet in einer kleinen Stadt ein. Das erstbeste Motel ist meins. Der Parkplatz ist voll mit Enduromaschinen. Ich kann noch nicht mal mein Motorrad abstellen, da bin ich schon von zahlreichen Motorradfahrern umringt. Woher ich komme, wohin ich fahre? Das ganze Programm. Es sind in der Masse Milchbauern. Der kleinste „Hof“ hat 1.000 Milchkühe und der größte 5.000 Tiere. Da bleibt nicht viel Zeit für Urlaub, aber einmal im Jahr für eine Woche mit den Maschinen querfeldein, das muss schon gehen. Ich werde spontan zu Bier und Pizza eingeladen. Der Rest des Parkplatz wird von uns auch noch okkupiert. Im großen Kreis sitzen wir zusammen und essen. Ich muss erzählen. Insbesondere meine Eindrücke in den muslimischen Ländern interessiert sie. Während Einzelne erstaunt sind, dass ich als Nicht-Muslim nicht unmittelbar geköpft wurde, hat doch die Masse die Überzeugung, dass in diesen Ländern die Menschen einfach nur nett sind. Das Fass „Präsidentenwahl“ ist hiermit eröffnet. Sie diskutieren wild. Allerdings nicht, wer Präsident werden soll, das sei für Farmer klar, sondern wie dumm ihr Lieblingskandidat die Amerikaner hält. Und deswegen würde er verlieren. Am Schluss gibt es Eis. Wie sie mit Stolz feststellen, ist das Eis, das vom Pizzadienst kommt, aus ihrer Milch gemacht. Das stimmt alle versöhnlich.
Die Fahrt nach Las Vegas war beinah genauso spannend, wie Las Vegas selbst. Nicht der Rede wert. Einfach nur durch. Eigentlich wollte ich in der großen Spieler- und Showstadt zwei bis drei Tage bleiben. Aber nach einem Abend entscheide ich, dass ich alles gesehen habe und düse ab. Ich finde das Ganze so uninspirierend, dass ich nicht einmal spiele. Wenn ich da schon gewusst hätte, dass sämtliche Drinks kostenlos sind, wenn man spielt! 😉 Aber so forderte ich das Glück nicht hinaus.

Es wartet etwas viel Großartigeres auf mich: Der Grand Canyon. Vorher noch zum Hoover Dam und nach Flagstaff, denn da soll ein Paket auf mich warten. Allerdings hat der Motelangestellte das Paket wieder zurück gehen lassen. Er hat sich nichts dabei gedacht. Das beschreibt seinen Lebensinhalt. Das Paket wurde doch telefonisch angekündigt, mit der Bitte es anzunehmen. Ja, stimmt. Da war was, aber er hat sich den Namen nicht aufgeschrieben und … er hat sich nichts dabei gedacht.


Ich brauche was Positives. Den Grand Canyon muss ich sehen, denn schließlich habe ich ja den „asiatischen Bruder“ in Kasachstan besichtigt. Da will ich schon wissen, wer da der große und der kleine Bruder ist. Der Punkt geht nach Amerika. Ohne Diskussion. Der Canyon in Kasachstan ist toll und wenn man dort ist, lohnt es sich, ihn zu besuchen, aber er ist im direkten Vergleich ein kleiner Seitenarm des Grand Canyon. Dieser ist absolut faszinierend und atemberaubend, wenn es nicht so amerikanisch touri-mäßig aufgezogen wäre. Aber auch das vergisst man mit der Zeit. Letztlich ist es mein Glück, dass ich außerhalb der Hochsaison da bin, da findet man Stellen, wo man ungestört den Blick über das zerklüftete Tal genießen kann. Selbstverständlich will ich das Farbenspiel erleben und bin zum Sonnenauf- und untergang zur Stelle.

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Als ich mich danach wieder kurz hinlege, werde ich von einem eigenartigen Geräusch gestört. Ein stattlicher Hirsch steht vor meinem Zelt und frühstückt. Soviel dazu, dass man sich den Tieren nicht nähern soll. Er zieht weiter. Schnell ein Foto machen und nochmal kurz hinlegen.

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Dann geht’s ewig lang und gerade durch triste Landschaft. Weder die angekündigten Rinder noch UFOs bekomme ich zu Gesicht.

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Die Empfehlung eines kanadischen Motorradfahrers, den Gasgriff zu arretieren, sich zurückzulegen und mit den Füßen zu lenken, befolge ich nicht. Man sieht aber Leute, die so fahren. Wen wundert’s? Viele fahren ja auch so ähnlich Auto: In der linken Hand ein Burger, in der Rechten das Handy. Gelenkt wird mit den Knien. So wird auch der USA-Part meiner Reise zum Abenteuer. Hier muss man definitiv auch für andere fahren bzw. denken. Von der viel gepriesenen defensiven Fahrweise bekomme ich nur selten etwas mit. Es wird gerast, gedrängelt, geschnitten. Phänomenal, wenn man mit knapp 75 Meilen pro Stunde (ca. 120 km/h) unterwegs ist, wo nur 50 mph (ca. 80 km/h) erlaubt sind und man links und rechts von Trucks überholt wird.

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Albuquerques Altstadt ist in Touristenhand. Entsprechend wenig ist los. Es finden sich ein paar Einheimische zum Musizieren im Stadtpark zusammen. Ob das mexikanisch eingehauchtes Lebensgefühl oder Touristenprogramm ist, kann ich nicht einschätzen.

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Das alltägliche Leben der Stadt findet ein paar Kilometer entfernt statt. Es zieht mich nicht sonderlich in den Bann, weswegen ich schnell aufbreche und Richtung Denver fahre.

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Die Landschaft ist nicht unbedingt atemberaubend, aber trotzdem wunderschön. Die Berge der Rockies tauchen auf und sind eine schöne Abwechslung zum flachen Nichts Tage zuvor. Jetzt habe ich nach intensivem Genuss von Natur, doch wieder Lust auf Stadt. Albuquerque war ja nur eine Stippvisite, das zählt nicht. In Denver freue ich mich auf Stadtleben. Inwieweit man Zombies mit Leben vereinbaren kann, ist das Geheimnis der amerikanischen Kultur. Der Schrecken nimmt seinen Lauf! 😉

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